Clack
Die Jüdin in der Burka
Eine Sekte in Israel predigt die gänzliche Verhüllung des weiblichen Körpers für Jüdinnen, ihre Frauen verschleiern sich. Sogar ultra-orthodoxe jüdische Kreise kritisieren die sogenannten jüdischen «Taliban-Frauen». Clack-Autorin Joëlle Weil folgte ihren Spuren.

Nicht nur Frauen verschleiern sich: Die Sekte «Lev tahor» lässt auch kleine Mädchen unter schwarzem Stoff verschwinden.
Was man in der Stadt Bet Shemesh antrifft, überrascht, schockiert und verwundert: Frauen, die Burkas tragen. Jüdische Frauen. In Israel gibt es zahlreiche verschiedene Richtungen des ultra-orthodoxen Judentums. Eine davon sticht heraus: Die Sekte «Lev tahor» (deutsch: reines Herz) folgt wohl der strengsten Interpretation des Judentums. Die Frauen tragen, ähnlich wie strenggläubige Muslima, Burkas oder Niqabs, verdecken damit ihren Körper, ihr Gesicht unter einem dunklen Gewand. Es sind keine richtigen Burkas, sondern zahlreiche Schichten Kleider, die aber genau die gleiche äussere Wikrung zeigen. Einige Hundert Frauen in Israel verhüllen sich im Namen des Judentums und geraten so in die Schusslinie der Medien und in die Kritik aller liberaleren jüdischen Glaubensgemeinschaften im Land.
Vom Weg abgekommen
Die Zahl der sogenannten «Taliban-Frauen», wie sie in Israel von ihren Gegnern genannt werden, wird auf 500 geschätzt. «Die Anhängerinnen stammen eigentlich aus gemässigt religiösem Umfeld und bewegen sich auf ihrer religiösen Suche über das orthodoxe Judentum auf die Sekte zu», erklärt Yair Nehorai. Er schrieb das Buch «Das Kind der Talibanfrau», eines der wenigen Bücher, das sich mit dem Thema befasst. Die darin beschriebene Frau begann ihren Weg zur Burka wie alle ultra-orthodoxen Jüdinnen: mit dem Verdecken des Haares nach der Hochzeit, sei es durch eine Perücke oder einem Tuch. Gleich begann der Weg auch für eine anonyme Gläubige der Tev tohar, die ihre Geschichte der israelischen Zeitung Haaretz erzählte: «Ich trug früher eine Perücke. Heute, wenn ich eine Frau mit einer sehe, bete ich zu Gott, er möge ihr verzeihen.» Die Motivation, sich selbst gänzlich zu verhüllen, diene dem Schutz der Männer. «Ich befolge diese Regeln um die Männer vor sich selbst zu schützen. Ein Mann, der einen weiblichen Körperteil sieht, wird erregt und könnte sündig werden. Wenn nicht mit Taten, dann in Gedanken.»
Kinder unter dem Schleier
Sie gehen gar noch einen Schritt weiter: Nicht nur Frauen, auch kleine Mädchen werden zur Verhüllung gezwungen und geraten so an den Rand der Gesellschaft, werden von Gleichaltrigen isoliert. Sogar ultra-orthodoxe Schulen in Israel lehnen die Aufnahme dieser Mädchen ab, was sie dazu zwingt, in Privatwohnungen von ihren fundamentalistischen Müttern unterrichtet zu werden. Dies ist nicht der einzige Protest ultra-orthodoxer Kreise gegen die Sekte. Fast ausnahmslos alle Rabbiner Israels verurteilen die extreme Glaubensgemeinschaft: «Dieses Verhalten wird vom jüdischen Gesetz weder erlaubt, noch verlangt“, präzisiert Rabbiner Shlomo Papperheim, Vorsitzender einer der stremggläubigsten Bewegungen Israels.
Zunehmend in der Gesellschaft präsent
Trotz der religiösen Isolation und der Anfeindungen wächst die «Taliban-Sekte» in den letzten Jahren stärker. Mittlerweile verhüllen sich auch Frauen, die den traditionell orthodoxen Kreisen angehören, was dazu führt, dass die Frauen der Lev tahor nach und nach zum alltäglichen Bild in den Strassen Jerusalems gehören. «In Bet Shemesh können sich die Anhänger unter sich bewegen, dort leben sie isoliert. Jetzt jedoch, wenn auch Frauen in Jerusalem beginnen, sich zu verhüllen, setzen sie sich stärkerem Widerstand von Aussen aus»“, sagt Nehorai. Die Bewegung sei in der Hauptstadt und im ganzen Land unerwünscht und verpönt. Die Gemeinschaft nimmt zunehmend mehr Platz in der israelischen Gesellschaft ein, vor allem in der Hauptstadt Jerusalem. Eine Tendenz, deren Auswirkungen liberale und orthodoxe Juden mit einem unguten Gefühl erfüllt.
Joëlle Weil lebt und arbeitet zur Zeit in Israel. Aufgewachsen ist die liberale junge Jüdin in Zürich.
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